Von 8. September bis 21. Oktober zeigt Fenna Wehlau eine Auswahl der LANDSYN Zeichnungen von Peter Lang. In ihrem neuen Schauraum gegenüber der Galerie in der Amalienstraße präsentiert sie dunkle großformatige Landschaftsmalerei.
Filmische Dokumentationen über das Projekt LANDSYN finden sie unter Videos:
von Gerd Schild, nobilis Magazin vom 16.4.2022, Fotos Martin Hangen
Patagonien, die Hochalpen und immer wieder Island: Peter Lang liebt als Landschaftsmaler extrem lange und aufwendige Projekte. Das kühnste führte ihn in diesem Sommer einmal um Island herum – auf einem schwankenden, alten Fischerboot hat er die Küstenlinie hundertfach gemalt. Die Kunst-Reise geht nun in Hannover weiter: Aus den Eindrücken der Reise fertigt ein Druckroboter riesenhafte Skulpturen, live zu sehen ab Mitte März im gläsernen Ausstellungsraum im Sprengel Museum.
Die Páll Helgi pflügt durch den blauschwarzen Atlantik. Vor ihr Wasser, am Horizont zerklüftete Steilwände. Der Dieselmotor rattert, aus dem Schornstein dringt dunkler Qualm. 40 Jahre lang haben Fischer mit diesem Boot Kabeljau und andere Meerestiere vor Islands Küsten eingefangen. Nun steht dort, wo die schmale Luke in den Frachtraum führt, Peter Lang. Der bärtige Mittfünfziger aus Bayern, dicke, schwarze Kopfhörer auf den Ohren, hält sich am selbst gezimmerten Holztisch fest. Damit er beim Malen nicht ins eiskalte Meer fällt. Lang wippt hin und her, nimmt einen Schluck aus der schwarzen Dose mit dem Black Sheep Dark Lager. Noch ein paar Striche braun – dann ist das Bild fertig, Nummer 4, Lang macht mit dem schwarzen Edding einen Strich an der weißen Zeltinnenwand. Mehr als 400 werden folgen auf dem Weg von Peter Lang einmal herum um Island.
Es sind die extremen Projekte, die Peter Lang anziehen. Noch zu Schulzeiten sichert er sich die erste Auftragsarbeit: ein mehr als 60 Meter breites Wandvlies für das Bad Tölzer Eisstadion. 5000 Mark gibt es dafür und drei Wurstsemmeln am Tag bei der nahen Metzgerei frei. Seitdem kann er von der Kunst leben. Als er nach dem Kunststudium in München keine Galerie fand, die seine Werke ausstellen wollte, mietete er kurzerhand ein kleines Ladengeschäft und verkaufte seine Bilder dort. „Was der Metzger mit seinen Wurstsemmeln kann, kann ich auch“, sagte er sich.
Island: sein kühnstes Projekt
Peter Lang malt am liebsten Landschaften. Er liebt Island. Und wie könnte er die Insel besser malen als vom Meer aus? Eine Perspektive, die sonst kaum jemand einnimmt. Das war die Grundidee zum bisher kühnsten Projekt des Künstlers. Vor Jahren hat er sich einen Überseecontainer zum mobilen Atelier umbauen lassen – und ihn für Monate aus dem kleinen Ort Gleißenberg in der Oberpfalz, in dem Wohnhaus und Atelier stehen, nach Patagonien, in die Hochalpen und vor einen isländischen Vulkan bringen lassen.
Nun also mit dem Boot in zwei Monaten einmal um Island herum, das sichere Land immer nah und doch fern, in diesem Schwebezustand will Lang die nächsten Wochen verbringen. Geschützt nur von einem vorne offenen weißen Pavillon-Zelt. Rückblick: Ein warmer Mai-Tag 2021 in Hannover. Peter Lang und seine Frau Gabriele Lang-Kröll haben den Kleinbus der Familie vor dem Sprengel Museum geparkt. Vollgestopft ist der Wagen mit Schlafsäcken, warmer Kleidung, Werkzeug, Dutzenden Pinseln aus Tierhaaren, zig Farbendosen und mehr als 600 großen Bögen handgeschöpftem Papier. Was man eben so braucht, wenn man auf einem alten Fischerboot in zwei Monaten Island umrunden will und die Insel dabei hundertfach malen möchte. Hannover ist nicht nur ein guter Halt, weil es einigermaßen in der Mitte liegt zwischen der Heimat von Peter Lang in der Oberpfalz und der dänischen Küste, von der die Fähre nach Island ablegt. Die Langs sind auch verabredet mit einem Team des Museums, darunter Direktor Reinhard Spieler. Sie klären die letzten Details für Langs Ausstellung in einem der wichtigsten Häuser für zeitgenössische Kunst in Deutschland. „Ein Traum wird wahr“, sagt Peter Lang am Rand der Außenterrasse des Museums, wippt mit den Füßen hin und her und blickt auf den Maschsee.
Auf große Fahrt
Drei Wochen später, Mitte Juni 2021, die Westfjorde Islands. In dieser Region ist selbst für isländische Verhältnisse wenig los. Die Natur dafür umso spektakulärer. Felswände ragen empor, verschiedenste Grüntöne findet das Auge beim Blick auf das Land, Moos, das die erkaltete Lava bedeckt. Im Wasser unzählige Fische, an den Steilhängen unzählige Vögel. Am Himmel ein hellblaues Leuchten in diesen Tagen im Jahr, an denen es praktisch nicht dunkel wird. Die Páll Helgi startet aus dem kleinen Hafen von Bolungarvik in den Atlantik. Das kleine Fischerboot aus Eichenholz, 16 Meter lang, 4 Meter breit, 30 Tonnen schwer, hat in seinen 40 Jahren auf See nur den Norden Islands gesehen. Jetzt also die große Fahrt. Bilder einfangen, wie Lang das Projekt für sich nennt.
Der Páll Helgi sieht man die 40 Jahre als Kutter an. Alles riecht nach Fisch. Zwei Wochen lang hat das Team alles rausgerissen, was nicht gebraucht wird, das geschrubbt, was drin bleiben sollte, immer wieder. Jetzt kann das Malen also beginnen. „Ich muss alle meine Ansprüche über Bord werfen“, sagt Peter Lang, bevor er aufs Boot springt, auf dem Pier im Hafen von Bolungarvik. Das muss nicht schaden: In der Jugend hat er einmal seinen Zeichenblock an den Fahrradlenker angeschraubt und freihändig fahrend gezeichnet. Auch mit diesen Bildern wurde er an der Kunsthochschule angenommen, erzählt Lang.
Kinderreiche Künstlerfamilie
Ein kleines Team macht sich auf die Reise. Der Künstler, der Kapitän, der Koch und die Frau, die das alles mitorganisiert hat. Gabriele Lang-Kröll hat Forstwissenschaft studiert. Als sie das Studium abschließt, haben die beiden schon drei Kinder. Jetzt das Referendariat machen, wochenlang am Stück in Forsthütten, wie sollte das gehen? Also konzentrierten sie sich auf das Familienunternehmen. Ohne die Kritikerin, die Planerin an seiner Seite hätte er das nie geschafft, weiß Peter Lang. „Beständige Veränderung“, so nennt sie das Leben in der Künstlerfamilie. Die Kinder, fünf sind es, haben alle einen künstlerischen oder handwerklichen Weg eingeschlagen.
Die See wird unruhiger. Loftur Bjarnason steuert die Páll Helgi auf den offenen Atlantik. Der Isländer sieht aus, wie man sich einen Kapitän für eine solche Fahrt wünscht. Fast zwei Meter groß, von positiver Sachlichkeit, ein Macher, der gerne lacht. Er ist nicht nur Kapitän, er hat auch das Mechaniker-Patent. Den Motor hat er in den Tagen vor dem Start generalüberholt. Und er wird auch in den zwei Monaten noch einiges mit dem Werkzeugkasten zu tun haben. Nur als die Starkstromleitung anfängt zu schmoren, da haben sie wirklich Glück, dass das Eichenboot nicht Feuer fängt. Er steht in dem engen Raum, vor ihm die Geräte zur Navigation, hinter ihm das heiße Abgasrohr des Motors, das die Kabine und die klaustrophobisch enge Toilette dahinter aufheizt. Wenn man zwei Monate fast durchweg auf See ist, werden die Mahlzeiten umso wichtiger. Auch deshalb ist Sigfus Almarsson dabei. Der gute Freund des Künstlers, 66 Jahre alt, hat lange ein eigenes Restaurant geführt, Fisch war seine Spezialität. Der Vater des Mannes, den alle nur Fusi nennen, war Fischer und immer lange weg. Die Páll Helgi kann nicht durchweg nah an der Küste fahren, zu flach ist das Wasser an manchen Stellen. Draußen ist der Seegang gleich stärker. Wer nicht über Jahre Atlantikfischer war, hält sich besser ordentlich fest, um nicht über die flache Brüstung ins Meer zu fallen. Peter Lang scheint das Dröhnen des Motors, der eisige Wind dieser ungewohnt kalten Sommertage, das Schwanken des Bootes nicht zu stören. Er ritzt mit seinen Fingernägeln Linien in das Papier. Schaut auf die Küste und beginnt, mit dem Pinsel und den Wasserfarben das zu malen, was er sieht und was ihn seit Jahrzehnten immer wieder nach Island zieht: Der so hell leuchtende blaue Himmel, die unendlich vielen Braun- und Grüntöne von Lava und Moos und das Meer. Lang macht immer wieder Ausfallschritte, um das Schwanken des Bootes auszugleichen. Bei Bild 7 ist die See so richtig rau, Grönland ist von hier nicht mehr weit. Etwas vom Rot spritzt auf das Bild. Lang meckert kurz, aber das gehört eben dazu. „Das bleibt!“ Lang schreibt am unteren Bildrand noch die Koordinaten auf das Bild, die ihm der Kapitän durch den Lärm zuruft. Dann kommt es in den Frachtraum unter ihm. Wartet, wie früher der Fisch, auf Kundschaft.
18 Stunden am Stück malend
Nach mehr als 15 Stunden auf dem Wasser endet das erste Teilstück in Drangsnes. Der Kapitän besucht die Familie, der Rest der Crew fährt zu einem heißen Bad direkt am Wasser. Viele isländische Häuser werden mit Wasser aus der Tiefe geheizt, das überschüssige Nass fließt in die großen Badewannen am Meer. Draußen sind es vier Grad, der Wind pfeift, und die Haut protestiert, wenn man von der Dusche im kleinen Umkleideraum in Badehose über die Straße huscht. Nach fünf Minuten im Hot Tub: ein Schnarchen, Peter Lang ist im 40 Grad warmen Wasser eingeschlafen. Die ersten Tage fordern Künstler und Crew. Einmal, auf der längsten Etappe, malt Peter Lang 18 Stunden am Stück. Erst nach zwei Wochen an Bord wird er merken: Ich falle ja abends nicht mehr todmüde ins Bett, wir können noch lachen, Karten spielen, Witze erzählen.
Fische fangen sie auch auf dem zum Malboot umgebauten Kutter. Die gibt es zum Abendessen in einer kleinen Bucht im Norden. Ein paar Häuser sieht man in der Gegend, in die keine Straßen führen. Der Kapitän lässt den Anker ins Wasser. Sigfus Almarsson und Gabriele Lang-Kröll lassen die Leinen mit den Fischködern ins Wasser. Nach ein paar Minuten ist der Eimer voll mit Kabeljau. Peter Lang nimmt die Fische aus, Almarsson trennt die Filets heraus und wirft den Rest wieder ins Wasser. Auf dem Grill zerfällt der Fisch dann etwas, zu frisch, eigentlich muss er einen Tag ruhen, aber mit Öl, Pfeffer und Salz gewürzt ist er trotzdem sehr lecker. Dazu gibt es Kartoffeln und Möhren. Es wird das Standardessen der nächsten Wochen werden.
Island ist ein neues, von Vulkanen geschaffenes Land. „Mich fesselt das Ursprüngliche dieser Insel“, sagt Peter Lang. In diesen manchmal unwirklichen Landschaften fand er ein zweites Zuhause, im Westen von Island. Dort, rund um den Vulkan Snaefellsjoekull, gibt es eine außergewöhnliche Vielzahl an Mineralien. Mit seinem Freund David Kremer, der eine Pigment-Manufaktur leitet und ihm die Farben für die Reise gemischt hat, sammelte Peter Lang zur Mittsommerzeit drei Erdfarben. Sein eigentliches Markenzeichen, wenn er nicht auf einem Schiff arbeitet, ist das Malen mit der Schlagschnur. Damit werden sonst auf Baustellen Linien aus Kreide an die Wand gedrückt. Lang füllt die Kreidekammer mit Pigmenten und lässt die eingefärbte Schnur dann auf die nasse Leinwand schlagen.
Mit jedem Projekt ist Peter Lang gewachsen und auch bekannter geworden. Nun folgt der nächste Schritt: Nach Ausstellungen in Berlin und Fürth zeigt das Sprengel Museum in Hannover, eines der führenden Häuser für zeitgenössische Kunst in Deutschland, eine Einzelausstellung mit seinen Arbeiten in der gläsernen „Einblickshalle“. Museumsdirektor Reinhard Spieler: „Man kann Peter Lang, diesen urigen Typen mit tiefem bayerischem Akzent, leicht unterschätzen. Er ist aber ein sehr progressiver Künstler.“
Die Ausstellung in Hannover zeigt etwas in dieser Form Einmaliges: Lang hat auf der Reise auch Skizzen angefertigt, nach denen ein großer 3-D-Druckroboter vor Publikum raumgroße Skulpturen erstellen soll. Die Reise mit der Páll Helgi endete nach mehr als 5500 Seemeilen, Mitte August im Hafen von Bolungarvik. In fast jeden Fjord Islands sind sie gefahren, haben Wale gesehen, ein riesiger Buckelwal ist direkt unter der Páll Helgi hindurch getaucht. Der Kapitän hat irgendwann nicht mehr nur auf die schnellste Route geachtet, sondern auf die Schönheit, die Perspektive. „Ein Kunstboot“, wie Peter Lang sagt. Die Páll Helgi, seit dem Bau im Jahr 1974 nur in den nördlichen Gewässern Islands unterwegs, hat das Team einmal um die Insel gebracht. Es war die letzte Reise. Das Schiff wartet im Norden Islands auf seine Verschrottung.
Peter Lang fasst seine Reise im Fischkutter um Island selbst zusammen:
LANDSYN Ein nautisches Pleinair-Projekt
Seit vielen Jahrzehnten beschäftige ich mich mit der Landsichtung. Im Kindesalter war meine Wahrnehmung der Landschaft mit einem Gefühl der Schönheit gepaart. Es stellte sich in der Bewegung, beim Laufen, Radfahren oder Bergsteigen ein, wenn die Landschaft-Raum-Komponenten Vordergrund, Hintergrund, Himmel und Licht so aufeinandertrafen, dass für mich ein ästhetischer Moment entstand. Diese visuelle Herausforderung stellt sich für mich bis heute als bildender Künstler. Zur optischen Wahrnehmung des Landschaftsraumes kam im Laufe meiner künstlerischen Darstellung die Frage der Verwendung der malerischen und grafischen Mittel. Diese zusammenzubringen ist mein Beruf.
Das Kunstprojekt LANDSYN – Land in Sicht hat die Elemente Land, Standpunkt, Bewegung, Beobachtung, Sichtung, Entscheidung und Ausführung „en plein air“. Als Land wählte ich die Insel Island. Der Standpunkt war der alte Fischkutter Pall Helgi auf dem Nordatlantik. Auf ihm wurde ein Zelt mit einem großen Ausguck zur Küstenlinie installiert. Im Zelt war ein Maltisch, von dem aus die Landschaft gesichtet und die Entscheidung zum Start der grafischen und malerischen Aktion getroffen wurde. Das Eichenboot fuhr mit zwei bis zehn Knoten Geschwindigkeit insgesamt eine Strecke von ca. 5500 Seemeilen ab. Dabei wurden 48 isländische Fjorde ein- oder mehrmals befahren und in 28 Häfen angesteuert. Gearbeitet habe ich auf Papier, Arches Rives Bütten, 300g/qm im Format 80 x 120 cm oder 60 x 80 cm. Meine grafischen Geräte waren das Falzbein, eine stumpfe Radiernadel, Bleistift, Stahlfeder und Tuschpinsel. Als Farbmittel habe ich Farbpigmentteige der Firma Kremer verwendet, die mir David Kremer speziell für die Reise angefertigt hat. Bindemittel war Schellack.
Der Zeitraum der Umfahrung war Juni bis Mitte August 2021. Bolungarvik im Nordwesten Islands war Ausgangspunkt und Endpunkt der Malreise. Richtung N-O-S-W.
Gearbeitet habe ich ausschließlich auf dem Wasser. Meine Inspirationsbeobachtungen fanden immer während der Seefahrt statt. Von meinem Zeltausguck betrachtete ich die Landschaft und zündete bei einer für mich ergreifenden Landschaftssituation meinen malerischen und zeichnerischen Prozess. Der begann meist damit, dass ich zuerst mit Falzbein, Radiernadel oder stumpfem Bleistift Vertiefungen in Vorder- und Rückseite des Papiers prägte. Nachdem so eine Bildidee entstanden war, fasste ich mit Farbtuschen die Zeichnung farbig. Meist wurde das Blatt mit Ortsnamen betitelt und mit nautischem Maß in Länge und Breite verortet und dann signiert. Die Außenbedingungen, Temperatur und Wetter, die Jetzt-Situation auf dem Wasser haben meine künstlerische Arbeit stark geprägt. Entscheidend aber war die Bewegung des Bootes im Wellengang. Bei sehr starkem Wellengang entstanden meist sehr direkte Arbeiten, in stark expressivem Duktus. Es war ein sehr rigoroses Aufnehmen und Ausdrücken. Die starke physische Anstrengung am Arbeitsplatz forderte eine sehr konsequente Umsetzung. Diese Wildheit habe ich sehr geschätzt. In ruhigem Fahrwasser sind entsprechend zarte und feine Arbeiten entstanden. Die Zeichnung konnte komplexer gesetzt und die Farbe differenzierter gemischt werden. Das Wetter, Wellengang und die starken Meeresströmungen haben grundsätzlich meine Beobachtung und meinen Arbeitsprozess beeinflusst. Die schnell wechselnden Lichtstimmungen waren die Grundlage für die jeweiligen Farbentscheidungen.
Die Weiterfahrt des Schiffes veränderte ständig den Standpunkt meiner Landsichtung und ist somit der immanente Unterschied zu meiner Arbeit an Land. Der Landstandpunkt ist immer fest und die Betrachtung ist nur geprägt von wechselnden Lichtstimmungen, ganz anders als auf dem Wasser in Seefahrt. Eine Situation, die mir eine präzise Wahrnehmung und blitzartige Umsetzung abverlangte: Zaudern unmöglich, ein impressionistischer Eindruck, eine expressive Ausführung, eine Momententscheidung, kein Abwägen, radikale Umsetzung, Kopf oder Zahl, immer riskant. Es war ein Arbeiten im Hier und Jetzt voller Konzentration, ein Arbeitsrausch, wunderbar für mich.
Interessant ist auch der auf See umgekehrte Farbraum zur Landschaftsmalerei an Land: Kalte Farben sind auf See im Vordergrund und das „wärmere“ Land im Hintergrund. Die für mich als Mitteleuropäer gewohnte Farbperspektive im Sinne Caspar David Friedrichs stellte sich auf den Kopf und gab mir die Möglichkeit, den dreidimensionalen Raum frisch und spontan in eine zweidimensionale Grafik zu übersetzen.
Das einfache, freie Leben an Bord der Pall Helgi rahmte den Arbeitsplatz ein. Gekocht, gegessen und geschlafen wurde gemeinsam mit der Schiffsmannschaft in der kleinen Kajüte im Bug des Bootes. Verspeist wurde fast ausschließlich der Fischfang des Vortages, besprochen wurde alles am kleinen Kajütentisch oder es wurde spontan nach der jeweiligen Wettersituation entschieden: Kurz, direkt und sofort. Die Stimmung an Bord war immer hervorragend und es wurde viel gelacht. Die Mannschaft bestand aus dem Kapitän und Ingenieur Loftur Bjarnason (56 Jahre), dem Koch und Manager der Reise Sigfus Almarsson (66 Jahre), Gabriele Lang-Kröll als Dokumentaristin und Matrosin (55 Jahre) und dem Künstler Peter Lang (56 Jahre). Während eines sechstägigen Landgangs von Loftur im Westen der Insel übernahm Kapitän Fri∂thjoffur Saevasson (54 Jahre) das Ruder und Arni Emanuelsson (70 Jahre) unterstützte ihn als Maschinist. Manchmal hatten wir auch Gäste an Bord, die uns für ein paar Tage begleiteten. Gemeinsam haben wir allen Widrigkeiten getrotzt und wurden von der unglaublichen Schönheit der Insel überrascht und belohnt.
Die wilde Seefahrt haben wir dank der umsichtigen und professionellen Kapitäne unversehrt überstanden, was ein Glück ist. Wir haben gemeinsam nicht den Fisch gejagt, sondern die Schönheit der Insel. Was für ein Malabenteuer!
Auf See, 20. August 2021, Nöronna (Fähre Island-Dänemark)
Seit einem Monat sind wir unterwegs: Schnee, Nebel, Sonnenschein, raue und spiegelglatte See, blendende Helligkeit, keine Nacht, Regen und Wolkenspiele.
Im ersten Video wird das Boot Pall Helgi vorgestellt, im zweiten steht der Künstler im Fokus, das dritte gibt einen Einblick in das Leben an Bord und das vierte zeigt unsere Begleiter:
Foto: Martin HangenFoto: Martin HangenFoto: Martin HangenFoto: Martin HangenFoto: Martin Hangen
Iceland off shore – Ein maritimes Zeichnungsprojekt
„Es war ein Traum, die Insel meiner künstlerischen Sehnsucht einmal mit dem Boot zu umrunden. Es war ein noch größerer Traum, von einem Boot aus zu malen. Im Sommer 2020, nach kurzen Seeausflügen, ergab sich die Gelegenheit dieses Projekt zu starten. Mein Freund Sigfus Almarsson nahm die Organisation in die Hand, besorgte ein Boot und einen Kapitän. So komme ich nun als Landratte (die Isländer nennen es Landkrabbi) in den Genuss, die Insel vom Boot aus und damit in einer komplett anderen Farbperspektive zu betrachten.“ Peter Lang
Die übliche Farbperspektive eines Landschaftsmalers, nennen wir es klassisch, historisch oder kontinental, geht von warm nach kalt, also von rot über grün nach blau. Vom Boot aus wird Peter Lang die Farbperspektiven komplett anders erfahren, umkehren und bearbeiten. Ausgangspunkt ist der Standort im Meer mit Blick auf die Landschaft, demnach von blau zu grün und rot. Das Ergebnis ist eine Unwägbarkeit sowohl für den Künstler als auch für den Betrachter.
In der Beengtheit des Schiffes wird auf bestes Büttenpapier gesetzt: biegsam, Wasser aufnehmend und abgebend. Für die Farbtuschen stellte David Kremer besondere Schellacktuschen u.a. mit den erprobten Islandpigmenten exklusiv her, denn auf die perfekten Pigmente der Firma Kremer kann nicht verzichtet werden.
Einen festen Boden unter den Füßen zu haben, ist für einen Landschaftsmaler eine Selbstverständlichkeit. Bei diesem Projekt wandelt sich der Mensch in der Landschaft zum Menschen vor der Landschaft, auf dem Wasser ohne festen Grund. Dünung, Wellen, Wetter und Wind bewegen das Schiff, den Geist und den Betrachter. Der Künstler und das Motiv sind immer in Bewegung: Spannung pur für Peter Lang. Wieviel künstlerische Anforderungen, Vorstellungen und Überzeugungen werden über Bord geworfen, wieviel bleiben, wieviel entstehen?
Über den Fortschritt des Projekts finden Sie in den nächsten Wochen weitere Beiträge.