Dr. Andrea Weindl, im Katalog Peter Lang und das Polarlicht, Köln 2019, ISBN 978-3-9812421-3-3
Das Land ist gestreift. Der Wind dirigiert Muster und Rhythmus. Er bläst Streifen über die Ebenen, schrubbt die Höhen in gleichmäßigen Linien, treibt Welle um Welle über Meer und Fjord. Im Winter lässt er Eiszapfen in der Horizontalen wachsen und verwandelt Meeresgischt in eisige Flocken. Er schiebt den Schnee in tiefe Furchen zusammen,daneben liegt scharfkantiges Lavagestein, nur notdürftig mit dem feinen Weiß bestäubt.Dazwischen mäandern Fluss und Bäche in großzügigen Bögen. Endlos die Zahl der Rinnsale und Gewässer, die in parallelen Linien vom Berg zu Tal stürzen. Dort, wo selbst der beständige Wind nichts mehr ausrichtet, haben Erdkräfte Basaltgestein zu kantigen Säulen gefaltet, nur manchmal vom beständig nagenden Meer zu sanfter Rundung abgeschliffen. Noch nachts schickt das Polarlicht farbige Schlieren über den blauschwarzen Himmel.
Der Himmel hängt tief, selbst wenn keine Wolke darüber zieht, aber wann gibt es schon so etwas? Es ist ein Land im Querformat.
Schnell wechselt die Insel die Farben, wenn der Wind die Wolken über die Sonne treibt, mal ein paar Strahlen freigibt, die sich in Schnee und Wasser brechen, von den gedeckten Rot-, Grün- und Ockertönen der Flechten und Gesteine ganz zu schweigen.
Diese Landschaft hat sich der Künstler Peter Lang ausgesucht und angeeignet, um sie auf Leinwand zu bannen. Er hat seine Technik nicht auf Island erfunden und doch scheint sie wie gemacht für die abgelegene Insel im Atlantik, die vom Wind beherrscht wird: Mit Pinsel, Pigmenten und Schlagschnur entstehen radikal leere Landschaftsbilder, die, vom Himmel beherrscht, vor allem aus Weite bestehen. Weit schweift der Blick über den Horizont, der in feinen Farbnuancen, mal akzentuiert, mal nahtlos im Himmel aufgeht.
Über Charakter und Stimmung der Bilder entscheiden Licht und Farbe, die der Künstler sorgfältig aussucht und immer wieder von neuem mischt, so lange bis das Ergebnis den Zauber der Landschaft auf der Leinwand einfängt. So ist es sicherlich kein Zufall, dass schon 2013 der Pigmentehersteller David Kremer (Kremer Pigmente) von einem Besuch beim Maler einige Mineralien mitbrachte, die er zu drei isländischen Erdfarben verarbeitet hat: Snaefellsjoekull-Rot, benannt nach dem „Schneeberggletscher“, zu dessen Füssen Peter Langs Atelier lag, Heydalsvegur-Gelb, nach einer Straße, die es erlaubt die Halbinsel Snaefellsness mit dem Atelier links liegen zu lassen und Brimisvellir-Grün, nach einem Landgut im Norden der Halbinsel.
2012/2013 wählte Peter Lang Island erstmals für einen längeren Malaufenthalt. Sein Domizil schlug er damals wie 2018/2019 im Westen der Insel am Fuße des Vulkans Snaefellsjoekull auf. Die Halbinsel, so werben die Touristenmagazine, ist wie das ganze Eiland en miniature. Am nördlichen Zugang der Halbinsel soll Leif Eriksson das Licht der Welt erblickt haben, in Ingjaldshólskirkja, gleich um die Ecke am Atelier, hat, so will es zumindest der Bericht seines Sohnes, Kolumbus weit vor seiner Reise in die Neue Welt Station gemacht. Kein schlechter Ausgangspunkt für Entdecker.
Vor sechs Jahren landete Peter Lang mit seinem mobilen Atelier, einem zur Werk- und Wohnstatt ausgebauten Container. Dieses Mal konnte er auf damals geknüpfte Netzwerke zurückgreifen: Der Bürgermeister der Gemeinde bot ein leerstehendes „Rescuehouse“ für den Malaufenthalt im Winter, wenn der Wind dem Leben im Container zusetzt. Vom ein wenig abseits vom Dorf stehenden Atelier aus schweift der Blick nach Norden über den Breiðafjörður (Breites Fjord) und (an klaren Tagen) zu den Westfjorden, gen Süden erhebt sich der Snæfellsjökull, dessen markanten Gipfel das Wolkenhäubchen nur selten freigibt. Die in früheren Malreisen (2007–2009 Bleckenau, 2010/11 Patagonien, 2012/13 Island, 2017 Hinterstoder/Österreich) gewählte Einsamkeit hat Peter Lang mittlerweile ein Stück weit aufgegeben. Immer wieder kamen Freunde und Bekannte für kurze oder längere Aufenthalte vorbei. Alte Freundschaften hatten Bestand. Kaum ein Tag, an dem nicht isländische Bekannte den Künstler besuchten, frischen Fisch vorbeibrachten, ein Pläuschchen hielten. So verwandelte sich die ehemalige Rettungs-Station der Gemeinde Hellissandur tatsächlich in ein Kultur- und Begegnungszentrum, wo nicht nur Kunst entstand, sondern auch Menschen unterschiedlicher Berufe, Interessen und Nationalitäten aufeinandertrafen, gastfreundlich aufgenommen und beherbergt von der großen Familie des Künstlers, deren Mitglieder ihrerseits immer mal vorübergehend oder dauerhaft ihr Zelte hier aufschlugen.
Die Arbeit zwischen Ende November 2018 und Ende Mai 2019 war geprägt von extremen Licht- und Wetterverhältnissen: Zum Jahresende spendete die Sonne gerade einmal noch vier Stunden Tageslicht, gegen Ende des Aufenthalts verschwand sie nur noch wenige Augenblicke hinter dem Horizont. In den dunklen Monaten zauberte der Sonnenwind bewegt zarte Polarlichter an den Himmel, die mit am Ursprung der zweiten Reise standen: filmisch oder photographisch nur schwer wiederzugeben, stellen sie für den Maler eine ganz eigene Herausforderung dar. So fiel die längste Zeit des Aufenthalts diesmal in den Winter, wenn sich die Nacht fast endlos dehnt, erhellt nur von Mond, Sternen und eben diesen Nordlichtern, die am Himmel wabernd-fahrige Schlieren zeichnen. Als die Tage wieder länger wurden, erschloss sich der Künstler die Landschaften und Stimmungen in mehr oder weniger langen Spaziergängen, speicherte sie in seinem beinah photographischen Gedächtnis, das gleichzeitig mehr und weniger ist, weil es Stimmungen behält und unwichtiges Beiwerk vernachlässigt.
Neben den Gemälden hat Peter Lang aus Island auch 33 Radierungen mitgebracht, eine Ausdrucksform, auf die der Künstler im Laufe seines Schaffens immer wieder gerne zurückgreift. Die unterschiedlichen Techniken rücken mal die Struktur, mal die Schattierungen einer Landschaft in den Fokus, durch das Weglassen der Farbe reduziert auf Ein- und Abdruck.
So entstanden Gemälde und Drucke zwischen Abbildung und Abstraktion, die alle Nuancen einer Landschaft ausloten – vom nächtlichen, fein abgestuften Schwarz über die gedeckten, doch klaren isländischen Erdtöne, dem ewig changierenden Blau und Grau von Himmel und Meer bis zu den zarten Rottönen des Morgen- und Abendhimmels – und gleichzeitig, gleichsam unter der Oberfläche, bestimmte Landschaftsformen, vielleicht auch nur als Allegorie erkennen lassen. So treten die Bilder in ein Zwiegespräch mit dem Betrachter, der sein eigenes Kunstwerk daraus erschafft, Orte erkennt, die keine oder anderswo sind. Und so ist auch nach den Malarbeiten der schöpferische Akt noch nicht vorbei. Nach der Fertigstellung der Werke schafft Sigfus Almarsson, kongenialer isländischer Freund des Künstlers, bei der Benennung der Bilder seinerseits kleine Kunstwerke: Gemeinsam mit dem Künstler lässt er die neuen Schöpfungen auf sich wirken, findet Namen, manchmal ad hoc, manchmal nach Stunden oder Tagen. In freier Assoziation entstehen kleine Werke der Fantasie und Poesie: Lied- oder Gedichtzeilen, leicht abgeändert oder belassen im Spiel mit Worten und (Sprach)bildern, in Island meist kollektiv verständlich, für den Fremden gleichwohl nur schwer zu durchdringende, poetische Rätsel. Im Zusammenspiel von Bild und Titel geht die isländische Tradition, die vor allem durch Wort und Sprache geprägt ist, auf diese Weise eine Symbiose mit der Malerei Peter Langs ein.
Seitdem die Künstler im 19. Jahrhundert ihre Ateliers auf der Suche nach dem unmittelbaren Eindruck der Natur verlassen haben, sind immer wieder auch Grenzerfahrungen Thema der Malerei. Der Mensch auf sich gestellt, im Angesicht großartiger und einschüchternder Natur rückte in den Fokus vor allem der Romantiker. Wahrscheinlich erschließt sich diese Idee nur an wenigen Orten der Erde so klar wie in Island. Denn der Alltag auf der Insel wird trotz aller zivilisatorischer Errungenschaften von der Natur beherrscht: Sie bestimmt über Passierbarkeit von Straßen und Bewegungsradius. Feiner Schneestaub von heftigen Böen über die Fahrbahn getrieben raubt Sicht und festen Untergrund, macht Straßen unpassierbar. Wo sonst gibt es eigens als Winterwege konstruierte Weichen, befahrbar wenn der Hauptweg im Schnee versinkt. Die Natur liegt auch, so meint zumindest der Dichter Einar Már Guðmundsson, der Vorliebe der Isländer für genealogische Fragen zugrunde. „Weil Bäume sehr selten sind, suchen sich die Leute Stammbäume, und entdecken so für sich ganze Wälder unter ihren Vorfahren.“[1] Und auch der Wind hat eine existentielle Dimension: bläst er dem Menschen bisweilen doch schier die Seele aus dem Leib.
Aus Peter Langs Bildern ist der Mensch gänzlich verschwunden und steht vielleicht doch im Mittelpunkt, eher als Wahrnehmer denn als Beobachter, dem ewige Landschaften Stimmungen und Empfinden sind, die den Einzelnen auf sich zurückwerfen.
Andrea Weindl
[1] I trace the interest in genealogy in Iceland to the lack of trees. Because of the sparsity of trees, people opt for family trees and find themselves forests among their forebears… “ Einar Már Guðmundsson, Angels of the Universe (Übersetzung Martin Steininger).