Landschaft jenseits der Zivilisation
Dr. Reinhard Spieler, im Katalog Peter Lang – Patagonia, Ludwigshafen 2011
Kunst, und ganz besonders das Medium Malerei, ist gleichzeitig Errungenschaft wie Spiegel der Zivilisation. Und doch versuchte die Malerei die Grenzen zumindest der westlichen Hochzivilisation zu verlassen – just zu dem Zeitpunkt, als sie ihre Mittel von der sichtbaren Welt zu emanzipieren begann, als sie sich am Beginn der Moderne auf ihre eigenen Mittel und die eigene Referenzialität besann: Gauguin reiste in die Südsee, Picasso und viele andere studierten afrikanische Masken, die Surrealisten definierten das vor-zivilisatorische Terrain nicht geographisch, sondern suchten es im eigenen Unter- und Unbewussten, darüber hinaus bei den Ausdrucksformen der Geisteskranken. Ein weiterer Sprung in der Zivilisationsflucht erfolgte nach dem zweiten Weltkrieg, als jegliche Zivilisation ohnehin nach dem Ausbruch entfesselter Gewalt verschüttet schien: Dubuffet und die Art Brut stießen in damals neue Kunstzonen jenseits akademischer Kunstformen vor, indem sie Graffiti, Kinderzeichnung und andere, nicht künstlerisch kalkulierte Ausdrucksformen adaptierten.
Die ersten, die um der Natur willen das gepflegte Atelier verließen, waren die Maler von Barbizon, die Mitte des 19. Jahrhunderts in den Wald von Fontainebleau vor Paris zogen und ihre Eindrücke unmittelbar, ohne die Reflexionsdistanz des Ateliers, auf die Leinwand zu bannen. Die Impressionisten folgten ihnen nach, um die Spuren des Lichtes in Natur und Zivilisationslandschaft zu studieren.
In dieser Tradition sieht sich Peter Lang. Er ist Landschaftsmaler und darin ein Romantiker im eigentlichen Sinne. Sein Thema ist nicht wirklich das Abbild der Landschaft, sondern der Eindruck, den sie ausübt, wenn man sich ihr anvertraut und ausliefert. Schon die Romantiker des 19. Jahrhunderts, allen voran Caspar David Friedrich, thematisierten immer wieder die Grenzerfahrung: Die menschliche Figur im Bild taucht meist an der Schwelle zwischen Diesseits und Jenseits im Bild auf, an der Schwelle zur Unendlichkeit von Meer oder Bergwelt, von unzugänglichen Wäldern oder gar eines Friedhofes. Die unbetretbare, nicht domestizierte Natur ist hier ein Sinnbild für Tod und Jenseits, die bei den Romantikern noch über die rein christliche Lehre hinaus in einer Alleinheit mit der Natur gefasst werden.
Peter Lang zieht es in Naturräume, die jenseits zivilisatorischer Prägung liegen. Je wilder und unzugänglicher, je freier von menschlichen Spuren, desto mehr reizt es ihn, diese ursprünglichen, vom Menschen ungekannten und unabhängigen Eindrücke aufzunehmen und in einer Form nachvollziehbar zu machen, die im Sinne Cézannes als eine „nature parallèle à la nature“ erfahrbar wird: „In meinen Arbeiten gehe ich vollkommen weg vom Erzählerischen, hin zum wirklichen Klang“, so Lang über seine Intention.
Der Container
Die Schwierigkeit beginnt damit, überhaupt erst einmal in solch entlegene Natur zu gelangen und sich dort so einzunisten, dass ein Arbeiten möglich ist. Zusammen mit dem Architekten Florian Nagler, der schon sein eigenwilliges und aus innovativen Materialien entworfenes Wohn- und Atelierhaus in der Oberpfalz gebaut hat, und dem Flight-Case-Spezialisten Max Lankes entwickelte Peter Lang die faszinierende Idee eines Atelier-Containers. Der Übersee-Container ist die Objekt gewordene Idee globalisierter Zivilisation, eines grenzenlosen Wirtschafts- und Warenflusses. Ein solcher Container sollte die industrialisierte mobile Zelle sein, die den Vorstoß in weitgehend infrastrukturfreie Zonen ermöglicht.
Das faszinierende, bis ins letzte ausgetüftelte architektonische Konzept ist so angelegt, dass im Container alle Materialien untergebracht sind, die für seine Verwandlung in ein Wohnatelier nötig sind. Wohneinheit mit Bett und Küche, Nasszelle, Ofen, Energieeinheit, ein Bilderdepot sowie ein Atelierraum, der der fünffachen Grundfläche des Containers entspricht, gehören zu dieser mitgeführten Ausstattung. Der Atelierraum ist aufgestelzt, um Bodenunebenheiten auszugleichen und Tiere fernzuhalten. Eine transluzente Folie dient als Schutz gegen Kälte, Wind und Regen und formt einen echten, abgeschlossenen Raum, der aber jederzeit auch leicht zu öffnen ist. Die Konstruktion muss enormen Kräften, Wind und Hagel, standhalten. Eine weitere Forderung war, das ganze allein, weitgehend ohne fremde Hilfe, aufbauen zu können.
Florian Nagler hat mit diesem Container-Atelier einen echten Prototyp für mobiles Wohnen und Arbeiten im Zeitalter der Globalisierung geschaffen. Im Prinzip ist der Container für verschiedenste Anforderungen einsetzbar – für Katastropheneinsätze ebenso wie als Wohnmodell für Migranten. Von der autarken Energieversorgung über Solar- und Windgeneratoren bis zur weltweiten Transportkompatibilität in Schiffs-, Bahn- und LKW-Transporteinheiten bietet dieser Container den perfekten Mikro-Lebensraum, der sich an nahezu alle äußeren Bedingungen anpassen lässt.
Die Landschaft
Für Peter Lang ist dieser Container die Möglichkeit, mit einem rudimentären Zivilisationsbausatz an oder sogar jenseits der Zivilisationsgrenzen zu operieren.
Der Standort, den er sich für die erste seiner Malerei-Expeditionen ausgesucht hat, liegt im chilenischen Patagonien, in einer grandiosen, einsamen Landschaft. Sie enthält die Grundbausteine der Natur: Wasser, endlos weite Steppen und Wälder, in der Ferne mit der Kette der Anden gewaltige Berge. Regiert wird diese Landschaft vom Wind. Er beherrscht alle und alles, treibt alles, was nicht fixiert ist, gnadenlos in die Ferne als gälte es, absolute Leere herzustellen, hinaus- und hinwegzufegen, was dieses Land unrechtmäßig in Besitz zu nehmen versucht. Das gilt für alle Spuren der menschlichen Zivilisation und am Ende sogar für die Worte – der Wind zersetzt sie, trägt sie als verstümmelte Fetzen fort, bis die Gewalt der Natur als einzig geduldete Sprache übrig bleibt und nichts menschliches mehr duldet. Endlose Weite, übermächtige Lichtstimmungen, die sich über alles legen und alles zu durchwirken scheinen, bleiben als Eindruck, der Worte ohnehin verstummen lässt.
Die Bilder
In seinen Bildern hat Peter Lang eine spezielle Methode entwickelt, um diese Stimmung, die eigentlich keine zivilisatorische Syntax zulässt, zu fassen. Er grundiert die Leinwand und legt zunächst eine relativ diffuse farbige Grundstimmung an. Auf diese noch „herkömmlich“ gemalte Landschaftsstimmung wird nun ein Bindemittel aufgetragen und dann eine in reine Pigmente getauchte Schlagschnur horizontal über das Bild gespannt – immer und immer wieder, in immer wieder anderen Pigmentmischungen. Das Bild verliert seine mimetische Syntax und wird stattdessen von der geometrischen Strenge der horizontalen Linien dominiert. Trotz aller Abstraktion, die damit einhergeht, stellt sich für unser vom Anblick des Horizonts geschultes Auge ohne Mühe der Eindruck von räumlicher Tiefe und von Landschaft, von der Weite des Horizonts ein. Es entstehen Farbschichtungen, die gleichzeitig auch Raumschichtungen sind, die Raumtiefe erschließen und doch immer gleichzeitig die Fläche und damit die Ebene des Bildes präsent halten.
Lang gelingt damit die Durchdringung und Verknüpfung gänzlich gegensätzlicher, sich eigentlich ausschließender Prinzipien. So wie Raum und Fläche eins werden, so verhält es sich auch mit atmosphärischer Wirkung und architektonischer Strenge. Die Farbwirkung der reinen Pigmente spricht ganz auf der emotional-atmosphärischen Ebene, während die strenge Linien-Architektur ein gegenteiliges Prinzip ins Spiel bringt, den Farbwolken eine klare Ordnung, ein tragendes Gerüst einschreibt.
„Vergiss die Worte“ hat Peter Lang seine Bilderserie aus Patagonien tituliert – aus der Erfahrung heraus, durch die Übermacht von Wind und Natur auf die nackte, unsagbare Existenz reduziert zu sein. Die Abkehr von der mimetischen Darstellung der Landschaft ist ein bildnerisches Äquivalent für diese Existenz jenseits der Worte. Die sichtbare Welt entfernt sich von der gegenständlichen Beschreibung und Wahrnehmung in eine abstraktere, grundsätzliche Struktur: Lang entführt uns in atmosphärisch getränkte und gleichzeitig spirituell gereinigte Erlebnisräume, in der die Übermacht der Natur nur durch die strenge Klarheit des Geistes in der Balance gehalten wird.
Reinhard Spieler